Für Vati.
In seinen letzten Momenten war ich bei ihm. Ich hielt seinen Arm. Er war noch da. Und ich sagte leise: „Du darfst gehen.“
Es war ein Moment voller Nähe, Trauer – und Liebe. Ein stilles Loslassen, getragen von all dem, was war.
Mein Vati war ein Mensch mit Haltung. Ehrlich. Klar. Verlässlich. Er hat seinen Standpunkt vertreten – ruhig, aber bestimmt. Und er hat Verantwortung übernommen – für sich und für uns als Familie.
Einer der wichtigsten Schritte in seinem Leben war vor gut 40 Jahren die Entscheidung, die DDR zu verlassen. Doch er ging diesen Weg nicht allein, sondern gemeinsam mit seiner Familie. Es war ein Schritt voller Mut, Hoffnung und Entschlossenheit – getragen von dem Wunsch nach Freiheit und Zukunft.
Am Tag, an dem du gegangen bist, Vati, erreichte mich ein Brief des Bundesarchivs für Stasiunterlagen.
Ein Zufall – und doch so bedeutsam.
Als wollte das Leben mir noch einmal zeigen, welchen Weg wir gemeinsam gegangen sind. Als Erinnerung an deine Entscheidung, an deinen Mut, an deinen Wunsch nach Freiheit – für dich, für uns.
Darin stand, ich zitiere: „hartnäckige und unbelehrbare Gesuchssteller auf Übersiedlung“ seien wir. „Eine Rückgewinnung für unsere Gesellschaftsordnung sei nicht mehr möglich”, wir seien für sie „wertlos geworden“.
Dieser Brief kam nicht zu früh und nicht zu spät. Er kam genau am Tag deines Abschieds.
Und doch: Seine Heimat Thüringen blieb für ihn immer etwas Besonderes. Dort verbrachte er seine Jugend, dort war er verwurzelt. Als junger Mann war er Mitglied und Techniker der Musikgruppe Tangens Alpha. Die Musik war für ihn eine Herzensangelegenheit – und das Gitarrespielen blieb sein Hobby, auch später noch.
Wenn er spielte, war er ganz bei sich – ruhig, konzentriert, erfüllt. Die Musik hat ihn getragen – ein Leben lang.
Vom Beruf war er Diplom-Ingenieur für Mikroelektronik – ein Beruf, der zu ihm passte: präzise, durchdacht, strukturiert. Technik war für ihn mehr als Arbeit – sie war Haltung, Klarheit, Neugier.
So war mein Vati: Verlässlich. Aufrecht. Still und stark. Er war immer für andere da, hat unterstützt und geholfen, wo er konnte. Nicht laut, aber tief verbunden mit allem, was ihm wichtig war.
Und: Er kochte gerne – mit Leidenschaft, mit Experimentierfreude und mit ordentlich Chaos in der Küche. Nach jeder seiner kleinen Küchenschlachten blieb dann meist Mutti zurück – und der heldenhaften Aufgabe, das Schlachtfeld zu räumen.
Und jetzt ist er gegangen. Still. In Würde.
Aber was bleibt, ist groß: Die Erinnerung. Die Dankbarkeit. Die Liebe. Und der Moment, in dem ich seinen Arm gehalten habe – und er noch da war.
Mach’s gut, Vati. – Deine Musik klingt weiter. – Dein Weg bleibt ein Teil von mir.
Viele deiner Eigenschaften habe ich mitgenommen – und sie leben in mir weiter. – Und du – du bleibst. Für immer.
Ja – „Du durftest gehen…“


